nicht nur am 16. Dezember

Meine Geschichte handelt von meinem Vater. So lange ich mich erinnern kann, hat er geschrien. Er wurde fürchterlich laut. In Momenten, in denen wir es am wenigsten erwarteten. Es war unberechenbar. Als Kind hatte ich Angst. Es war bedrohlich. Manchmal fühlte ich mich auch schuldig. Ich war natürlich auch besorgt und fragte mich immer wieder, warum er das tat. Es ging immer um Arbeit. Hatte er vielleicht Sorge, dass wir nicht genug hatten? Wirklich verstanden habe ich es nie. Aber ich versuchte zu vermeiden, dass es passiert.
Jetzt wird ihre Stimme laut und sehr kraftvoll. Wut und Ohnmacht schwingen mit. Sie sagt:
Jeden Morgen meines beschissenen Lebens bin ich um 05:00 Uhr in der Früh aufgestanden und habe mir den Arsch abgearbeitet bis 07:00 Uhr am Abend. Und das auch am Wochenende. Und das ging viele Jahre so, bis ich 40 war.
Sie macht eine Pause, atmet tief durch. Ihre Stimme wird ruhiger.
Eines Tages kamen meine Eltern zu Besuch. Ich hatte schon angefangen GFK zu lernen. Wir saßen ganz gemütlich da, als sich plötzlich unser Gespräch um das Thema „Arbeit“ drehte. Mein Vater schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte wieder diesen fürchterlichen Satz, der in der Vergangenheit Schuld oder Angst in mir ausgelöst hatte.
Ihre Stimme kippt wieder in Wut.
Diesen fürchterlichen Satz, der mir als Kind jeden Morgen meines beschissenen Lebens zur Hölle machte. Und jetzt ging es weiter, wieder weiter!
Sie klingt verzweifelt, als sie den letzten Satz sagt. Dann verändert sich ihre Stimmlage. Ein Lächeln taucht in ihrem Gesicht auf.
Plötzlich machte es „Klick“ bei mir. Ich schaute ihn an und sagte: „Papa, wenn du das sagst, hättest du dann gerne Anerkennung für all den Einsatz und dein Bemühen dafür, dass du all die Jahre für deine Familie gesorgt hast?“
Er schwieg lange. Ich schaute ihn an. Sein Blick ging zum Boden. Sein Gesicht wurde rot. Dann stiegen Tränen in seinen Augen auf. Nie zuvor habe ich Tränen bei ihm gesehen. Ich war sehr berührt. Offenbar wurde er endlich gehört. Das war ein magischer Moment für mich. Das hat in ihm und auch in mir etwas geheilt. Endlich verstand ich, worum es ihm ging. Wie tragisch. Tragisch, dass er das immer wieder mit diesem Satz auszudrücken versuchte. Dieser Satz, der mir so viel Schmerz zugefügt hat. Mein ganzes beschissenes Leben lang. Wie tragisch.
Danach hat er diesen Satz nie, nie, nie wieder gesagt. Es war vorbei, denn er wurde gehört.
Ich sage: „Das ist wirklich eine magische Geschichte.“
So viele Jahre, in denen er es nicht schaffte, zu erkennen, was sein Bedürfnis war, worum es ihm wirklich ging.
Tiefes Bedauern liegt in ihrer Stimme.
Und dann brauchte niemand mehr diesen Satz hören, der uns entweder mit Schuld oder Angst füllte. Es war vorbei, gehört und geheilt.
Ach, ja und nach diesem Erlebnis, war er auch fähig, seine Freude auszudrücken. Ein paar Tage später nur. Er hatte Tränen in den Augen und sagte mit sehr viel Emotion – er ist wirklich kein Mann, der über seine Gefühle redet – aber da, zum ersten Mal erzählte er mir, wie glücklich er war, als ich geboren wurde. Und wieder waren Tränen in seinen Augen. Er war wirklich glücklich. Ich konnte es spüren, ich habe es ihm wirklich geglaubt. Das hat uns verbunden.

Das war die Geschichte von Gundi Gaschler.
Mehr davon finden Sie auf http://www.gundigaschler.com